STIFTUNG EUROPA IN DER WELT

WERTEORIENTIERT
UND PRAGMATISCH

WIE SICH DIE EU IM SYSTEMWETTSTREIT BEHAUPTEN KANN

Johanna Hans

Johanna Hans

Referatsleiterin Europa der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit

ie EU ist ein weltweit einzigartiger Raum des Friedens, des Wohlstands und des gemeinsamen Rechts. Als einer der größten Wirtschaftsräume der Welt hat ihre Integrationsgeschichte Modellcharakter und dient vielen Regionen der Welt als Vorbild. Gleichzeit erleben wir jedoch, dass der globale Einfluss der EU schwindet, während andere Akteure ihren politischen und wirtschaftlichen Fußabdruck in der Welt vergrößern. Ein neuer Wettlauf um Einfluss über die eigenen Landesgrenzen hinweg hat globale Machtverschiebungen längst in Gang gesetzt. Die EU muss ihren Ansatz in der Außenpolitik ändern, wenn sie nicht ins Hintertreffen geraten will.

Spätestens mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ist der Wettstreit der Großmächte um Einfluss in der Welt zurück. Die Bindungskraft der westlichen Allianz scheint jedoch geringer als von hiesigen Politikern erhofft. Die fünf bislang vorgelegten Anträge in der UN-Generalversammlung zum russischen Angriffskriegs machen diese Entwicklung besonders deutlich: Zeitweise hat sich rund ein Viertel der UN-Mitgliedstaaten bei den entsprechenden Abstimmungen entweder der Stimme enthalten, war abwesend oder hat es abgelehnt, mit der Ukraine zu stimmen. Insbesondere Afrika ist in dieser Gruppe überrepräsentiert.

Als Gründe für das Abstimmungsverhalten der afrikanischen Staaten werden historische Beziehungen zu Russland, die Abhängigkeit von Importen sowie ein Mangel an Informationen, insbesondere durch westliche Medien, herangeführt. Ähnliche Muster lassen sich auch in anderen Weltregionen erkennen. Angefangen von Lateinamerika, wo Chinas wirtschaftliches Engagement stetig wächst und das der EU und der USA zum Teil überholt, bis hin zur eigenen Haustür, wo von Russland gesteuerte Medien die Meinungsbildung der Menschen im Balkan erfolgreich manipulieren.

DIE EU IM WELTWEITEN SYSTEMWETTBEWERB

In der neuen Weltpolitik, die geprägt ist von strategischer Rivalität zwischen autoritären Staaten und liberalen Demokratien, sind dies verheerende Signale. Wenn sich das freiheitlich-demokratische Gesellschaftsmodell der EU gegenüber autoritären Regimen durchsetzen soll, muss das europäische Projekt wieder an Strahl- und Gestaltungskraft gewinnen – sowohl innerhalb seiner Grenzen als auch nach außen.

Dazu muss die EU nach innen stärker an einem Strang ziehen und überzeugend vorleben, dass freie und demokratische Gesellschaften am besten geeignet sind, große Herausforderungen zu meistern. Bei allen Herausforderung, vor die der russische Angriffskrieg die EU stellt, so hat er auch gezeigt, dass die EU im Fall der Fälle durchaus in der Lage ist, pragmatisch und geeint zu reagieren – seien es die milliardenschweren Sanktionspakete oder die rasend schnelle Reduzierung der Energieabhängigkeit von Russland.

Afrika als Chancenkontinent erkennen – Lateinamerikabeziehungen stärken

Die EU kann, wenn sie muss. Die Kür besteht nun darin, diese Stärke nicht nur unter Druck auszuspielen, sondern zum Modus Operandi auf möglichst vielen Politikfeldern zu machen. Auch in ihren Außenbeziehungen sollte sich die EU mehr von einem „werteorientierten Pragmatismus“ leiten lassen, wenn sie sich im globalen Systemwettstreit behaupten will.

In Bezug auf Afrika heißt das, dass Europa seinen Blick auf den Kontinent verändern muss: vom Hilfsempfänger zum Chancenkontinent. Mit jenem gilt es, eine strategische Partnerschaft einzugehen, bei der der Aspekt der „Augenhöhe“ nicht bloß eine Floskel bleibt. Zwar wird Europas werteorientiere Politik von afrikanischen Entscheidungsträgern anerkannt, aber oft als paternalistisch wahrgenommen. Hinzu kommen langsamere Entscheidungs- und Umsetzungsprozesse, die afrikanische Staaten die Zusammenarbeit mit Akteuren wie China vorziehen lässt.

Ferner muss der Beziehung zu Lateinamerika ein höherer Stellenwert eingeräumt werden. Die EU sollte die Ratspräsidentschaft Spaniens, das historisch bedingt enge Beziehungen zu den lateinamerikanischen Staaten pflegt, dazu nutzen, das Mercosur-Abkommen endlich abzuschließen, auch wenn dies bedeutet, Abstriche bei einigen ambitionierten Zielen machen zu müssen. Überzogene Nachverhandlungen nutzen letztlich nur China.

WERTEORIENTIERTER PRAGMATISMUS ALS ENTWICKLUNGSLEITLINIE

Auch im Hinblick auf die eigene Nachbarschaft darf sich die EU nicht im „Klein-Klein“ verzetteln. Jahrzehntelange EU-Beitrittsverhandlungen bergen die Gefahr, dass sich die Kandidatenländer von der Idee Europas ab- und illiberalen Akteuren zuwenden. Um den Beitrittsprozess zu beschleunigen, ohne die Kopenhagener Kriterien zu kompromittieren, müssen die Kandidatenländer stärker als bisher bei der (Weiter-)Entwicklung ihrer rechtsstaatlichen, demokratischen und marktwirtschaftlichen Strukturen unterstützt werden. Gleichzeitig muss ein stärkeres Augenmerk auf die Zivilgesellschaft gelegt werden, wenn man diese Menschen nicht vollends an Akteure verlieren will, deren Werte denen der EU diametral entgegenstehen.

Neben der Neujustierung von Partnerschaften und einem verstärkten Engagement in anderen Teilen der Welt, gilt es, bestehende Allianzen zu vertiefen und auch hier, wo nötig, einen werteorientierten Pragmatismus walten zu lassen.

TRANSATLANTISCHE PARTNERSCHAFT IN POLITIK WIRTSCHAFT, WISSENSCHAFT UND ZIVILGESELLSCHAFT VERTIEFEN

Die USA sind und bleiben unser sicherheitspolitischer Schutzschirm und wichtigster Handelspartner. Deshalb müssen die transatlantischen Beziehungen nachhaltig gestärkt werden, und zwar ungeachtet dessen, wer 2024 ins Weiße Haus einzieht. Gerade weil der Ausgang der nächsten Präsidentschaftswahlen ungewiss ist, muss die EU die transatlantische Partnerschaft vertiefen und neben der politischen Ebene ihre Kontakte zu Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft ausbauen. Wie in jeder zwischenmenschlichen Beziehung liegt das Erfolgsrezept einer glücklichen Partnerschaft in einer fairen Lastenverteilung und gewissen Ebenbürtigkeit. Deshalb muss die EU gerade in Sicherheitsfragen mehr Verantwortung übernehmen und zu einer tragenden Säule der NATO werden. Ein „Immer einmal mehr als du“ hingegen ist weder in einer menschlichen Beziehung, noch als Antwort auf den „Inflation Reduction Act“ ein erfolgsversprechender Weg.

Im geopolitischen Wettbewerb, in dem sämtliche Großmächte um Einfluss in der Welt ringen, darf die EU nicht ins Hintertreffen geraten. Um die kollektive Stimme für demokratische Werte auf der Weltbühne zu stärken, muss die EU ihren außenpolitischen Ansatz überdenken. Dazu gehört, engere Beziehungen auch mit Staaten mit zum Teil divergierenden Ideologien und politischen Systemen zu knüpfen und Nickeligkeiten mit anderen gleichgesinnten demokratischen Staaten auszuklammern.

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