MIGRATION INTERVIEW

VIEL ZU TUN

Dr. Joachim Stamp spricht über seinen neuen Job und die Herausforderungen der Migrationspolitik der kommenden Jahre.

Joachim Stamp

Dr. Joachim Stamp

Sonderbevollmächtigter der Bundesregierung für Migrationsabkommen

Herr Dr. Stamp, Sie sind jetzt seit einem halben Jahr Sonderbevollmächtigter für Migrationsabkommen. Haben Sie sich schon in die neue Aufgabe eingelebt?

Es ist eine doppelte Herausforderung. Wir müssen eine neue Arbeitsstruktur aufbauen. Das ist in einer Ministerialbürokratie leider sehr aufwendig, beinhaltet viele Organisationsprozesse und kostet dadurch Zeit. Gleichzeitig haben wir auch inhaltlich sofort losgelegt.

Worum geht es genau?

Wir wollen und müssen irreguläre Migration reduzieren und mehr reguläre Migration ermöglichen. Migrationsabkommen sind dabei ein Element, das in der Vergangenheit sträflich vernachlässigt worden ist. Wir haben dadurch jetzt dicke Bretter zu bohren und es muss ehrlich gesagt werden, dass es keine schnellen Lösungen geben kann. Aber wir müssen jetzt systematisch Partnerschaften mit verschiedenen Ländern aufbauen.

Geht es dabei nur um Rückführungen?

Das war ein Fehler in der Vergangenheit. Wir haben zig Rückführungsabkommen, die in der Praxis kaum oder gar nicht funktionieren. Uns geht es jetzt darum, mit den Herkunftsländern auszuloten, wie die gegenseitigen Interessen sind und wie wir sie zusammenbringen. Das hilft dann auch bei den Rückführungen. Das braucht aber einen langen Atem und Geduld. Allerdings gibt es zwei Länder, wo wir zügig Erfolg haben können, das sind Georgien und die Republik Moldau.

Sind die denn wirklich relevant?

Ja, denn über zehn Prozent der abgelehnten Asylanträge in Deutschland kommen allein aus diesen Ländern. Ich habe vor Ort mit beiden Regierungen gesprochen. Wir könnten sofort Abkommen treffen, die das weitgehend unterbindet.

Sie setzen sich dafür ein, Georgien und Moldau als sichere Herkunftsländer einzustufen. Was würde das ändern?

Bürgerinnen und Bürger aus Georgien und Moldau dürfen visafrei für 90 Tage nach Deutschland einreisen. Leider nutzen das manche für eine Asylantragstellung. Die Verfahren selbst sind zwar kurz und enden zu über 99 Prozent mit Ablehnung. Aber wenn gegen die Ablehnung geklagt wird, dauert das anschließende Gerichtsverfahren wegen der Überlastung unserer Justiz oft viele Monate oder Jahre. Das wird gerne ausgenutzt. Bei einer Einstufung als sicheres Herkunftsland muss das Klageverfahren aus dem Heimatland bestritten werden und lohnt sich nicht. Wir haben es also selbst in der Hand, zumal Georgien und Moldau beim Rückkehrmanagement sehr gut kooperieren. Ich hoffe, dass Bundestag und Bundesrat schnell entscheiden, damit wir mit beiden Ländern vorankommen.

Welche weiteren Länder wollen Sie als sichere Herkunftsländer einstufen lassen?

Derzeit sollten wir uns bei der Einstufung auf Georgien und Moldau konzentrieren. Beschleunigte Verfahren bringen in der Praxis eigentlich nur dann etwas, wenn die Herkunftsländer auch bei den Rückführungen so kooperieren wie diese beiden Staaten.

Wie hilft Ihnen Ihre Erfahrung als Integrations- und Migrationsminister in Nordrhein-Westfalen bei Ihrem neuen Job?

Ich hatte ja in Nordrhein-Westfalen fünf Jahre Verantwortung für das Ausländerrecht, mit den höchsten Werten bei Abschiebungen, insbesondere von Straftätern und Gefährdern. Gleichzeitig habe ich das großzügigste Aufenthaltsrecht für gut integrierte Geduldete auf den Weg gebracht. Und auch jetzt geht es wieder darum, hart und konsequent gegenüber denjenigen zu sein, die das System ausnutzen, aber gleichzeitig diejenigen in unseren Arbeitsmarkt einzuladen, die etwas aus sich machen wollen und unsere Gesellschaft bereichern.

Dr. Joachim Stamp:

1987 trat er mit 17 Jahren in die FDP ein. Er studierte in seiner Heimatstadt Bonn, arbeitete im Büro von Guido Westerwelle und an der Theodor-Heuss-Akademie. Er war Ratsherr, MdL und hatte Parteiämter in Bund und Land inne. Von 2017 – 2022 war er Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration sowie stellvertretender Ministerpräsident des Landes NRW.

Jüngst wurde seitens der EU ein Abkommen mit Tunesien geschlossen. Wie bewerten Sie das?

Die Vereinbarung ist noch sehr allgemein. Es wird wesentlich davon abhängen, wie es weiter ausgestaltet wird. Tunesien ist im Bereich Migration Herkunfts-, Transit- und Zielland. Bei aller berechtigten Kritik an Menschenrechtsverletzungen in Tunesien werden wir die Situation nur mit den Transitländern verbessern – nicht gegen sie. Ich halte es für notwendig nach einer Kooperation zu suchen, wie Asylverfahren in sicheren Drittstaaten durchgeführt werden können – selbstverständlich nach den Grundsätzen der Genfer Flüchtlingskonvention. Wenn der Automatismus, dass wer die EU erreicht, auch in der EU bleibt, durchbrochen wird, könnte das tödliche Roulette auf dem Meer und in der Wüste beendet werden. Dazu müssten die Vereinten Nationen, vertreten durch UNHCR, die Verfahren beispielsweise in einem afrikanischen Land durchführen. Allerdings haben wir derzeit noch keinen geeigneten Drittstaat. Aber diese Idee muss intensiv weiterverfolgt werden.

Welches Interesse könnte ein Drittstaat haben?

Engere Bindung an die EU, finanzielle Unterstützung, Visa-Erleichterungen für die eigene Bevölkerung, aber auch Verantwortung für Menschen vom eigenen Kontinent.

Was sind für Abkommen geplant?

Das ist von Land zu Land verschieden. Mit Usbekistan und Kirgisistan sprechen wir vor allem über Fachkräfteanwerbung nach Deutschland, manche anderen Länder können hingegen keine Arbeitskräfte abgeben, weil sie sonst selbst Engpässe haben werden.

Wieso scheitern viele Abschiebungen?

Zunächst mal ist es jetzt gelungen, die Rückführungen im letzten halben Jahr um 27 Prozent zu steigern. Wer hätte das von einer Ampel-Regierung erwartet? Dennoch gibt es weiter Optimierungsbedarf. Hier wird von Bund und Ländern beispielsweise daran gearbeitet, das Untertauchen vor einer Abschiebung besser zu vermeiden, etwa durch eine Ausweitung des Ausreisegewahrsams. Unsere Migrationspartnerschaften können die Bereitschaft mancher Herkunftsländer steigern, ihre Bürger zurückzunehmen.

Auch hier stellt sich wieder die Frage, warum sie das tun sollten?

Gerade ärmere Länder haben natürlich ein Interesse, dass möglichst viele ihrer Bürger im Ausland Geld verdienen und davon einen Teil in die Heimat transferieren. Wenn es uns aber gelingt, dass diese Migranten nicht ihr Glück auf unheilvollen Migrationsrouten und bei uns im Asyl suchen, sondern über reguläre Wege in den deutschen Arbeitsmarkt kommen, profitieren alle Seiten. Denn der regulär Beschäftigte verdient auch mehr und kann mehr Unterstützung im Heimatland leisten.

Klingt überzeugend…

… ist aber in der Praxis deutlich komplizierter. Denn nicht jeder, der sich auf den Weg nach Europa macht, bringt auch notwendige Qualifikationen mit. Daher schauen manche zu naiv auf das Thema. Es braucht auch Nachqualifizierung, Steuerung, Integration. Es ist sehr viel zu tun, auch weil jahrzehntelang notwendige Strukturanpassungen verschlafen wurden. Hier müssen insbesondere die Kommunen die lokale Infrastruktur und auch die Ausländerbehörden stärken. Die Schwierigkeiten in der Migrationspolitik überwinden wir nur, wenn Bund, Länder und Kommunen gemeinsam daran arbeiten. Weniger Getöse und Schuldzuweisungen, mehr Verantwortung und Handeln. Das wirkt übrigens auch gegen Populisten.

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