STIFTUNG INTERNATIONALES
Völkerrecht am Ende?
Leer-Zeile
Israels Präventivkrieg hat eine wichtige Debatte ausgelöst. Auch für Liberale.

Prof. Dr. Karl-Heinz Paqué
Vorstandsvorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit
In Deutschland herrscht breites Verständnis für Israels Präventivkrieg gegen den Iran. Man stelle sich nur vor, das Mullah-Regime wäre zur Atommacht aufgestiegen. Kenner der Materie bestätigen unisono, dass dies technisch kurz bevorstand. Die Welt hätte wohl ein apokalyptisches Szenario vor sich gehabt: Ein totalitäres Regime, das seit seiner Geburt 1979 Israel nicht nur den Kampf angesagt hat, sondern – getrieben von Hass – mit dessen physischer Vernichtung droht und Terrororganisationen wie Hamas und Hisbollah unterstützt, die ebenfalls offen zur Vernichtung Israels aufrufen.
Man muss sich nur vorstellen, eine solche Situation entstünde in Europa. Sagen wir Spanien, etwa gleich weit entfernt von Deutschland wie der Iran von Israel – würde gezielt atomar aufrüsten, kurz vor dem nukleartechnischen Durchbruch stehen und gleichzeitig – flankiert von Terror – die Vernichtung Deutschlands ankündigen. Hätte Deutschland nicht die moralische und politische Pflicht, seine Bewohner durch einen militärischen Präventivschlag gegen Spanien zu schützen? Und gilt das nicht umso mehr für ein viel kleineres Israel, das – anders als Deutschland – vermutlich bereits durch eine Atombombe insgesamt unbewohnbar würde?
Es fällt schwer, diese Fragen nicht uneingeschränkt mit „Ja“ zu beantworten. Die Mehrheitsmeinung der Völkerrechtler stellt allerdings einen Bruch des Völkerrechts fest. Die zentrale Begründung: Um einen Präventivschlag zu rechtfertigen, müsse der Angriff „unmittelbar“ bevorstehen, was ziemlich offensichtlich in der Causa „Israel vs. Iran“ nicht der Fall war. Auch dies ist nachvollziehbar. Es führt aber zu einer merkwürdigen Schlussfolgerung: Moralisch und politisch ist das Völkerrecht in diesem Fall völlig hilflos. Es liefert keine valide Orientierung für unsere liberalen Werte mehr. Insbesondere versagt es als Richtschnur für die globale multilaterale Ordnung.

Von iranischen Raketen zerstörte Gebäude in der israelischen Stadt Haifa
Dies könnte schwerwiegende Folgen haben, und zwar dann, wenn es sich hier nicht um einen atypischen Einzelfall handelt, sondern eine Konstellation zwischen Staaten, die sich in der Zukunft wiederholen kann. Dafür sprechen starke geopolitische und technologische Argumente. Spätestens seit der Zeitenwende (Olaf Scholz), also Russlands Überfall der Ukraine, stehen wir vor gewaltigen neuen geopolitischen Herausforderungen, die komplexe militärische Entscheidungen über den Zeitpunkt einer präventiven Attacke, um einem (schwereren) völkerrechtswidrigen Angriff zuvor zu kommen, sehr viel wahrscheinlicher machen als früher. Die technologische Entwicklung geht in die gleiche Richtung: die Angriffstechnik – konventionell und atomar – wird immer zerstörerischer, die Möglichkeiten der Prävention durch Spionage mit modernster Informationstechnik aber auch. Die Zeit der leicht sichtbaren „Kanonenboot-Politik“ des 19. und frühen 20. Jahrhunderts ist längst vorbei. Der juristische Begriff der „Unmittelbarkeit“ wird immer schwerer fassbar.
Auch wir Liberale stehen vor einer Herausforderung: Entweder das Völkerrecht wird moralisch und politisch immer irrelevanter, oder es wird den neuen Entwicklungen angepasst. Aus der akademischen Welt des Völkerrechts kommt der Appell: Bitte keine Aufweichung des Rechts! Diese konservative Haltung ist nachvollziehbar, denn mit einem willkürlichen Recht ist dann auch wieder niemandem geholfen. Die Völkerrechtswissenschaft sollte sich in enger Kooperation mit Politikwissenschaft und praktischen Außenpolitikern diesen Fragen annehmen und das Völkerrecht – wie in der Rechtsgeschichte schon häufig – so weiterentwickeln, dass es den geopolitischen Herausforderungen unserer Zeit den angemessenen Rahmen bieten kann. So jedenfalls meine Sicht als liberaler Volkswirt, der von der multilateralen Ordnung viel hält und sie gerne erhalten sähe.
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